PRIF Jahresbericht2023
Editorial
Es gab auch positive Entwicklungen. In 2023 ging die Anzahl der Opfer gewaltsamer Konflikte, die die Kolleg*innen des Uppsala Conflict Data Programs dokumentieren, nach drei Jahren rapider Zunahme wieder deutlich zurück. Von einer Trendumkehr hin zu mehr Frieden kann aber keine Rede sein. Die Anzahl der Konflikte selbst blieb hoch und insbesondere das Andauern des Kriegs in der Ukraine und der Ausbruch des Kriegs in Gaza, in der Folge der terroristischen Anschläge der Hamas, hielten uns in Atem.
Wieder war es ein Jahr, in dem wir durch unsere Arbeit versucht haben, im Dialog mit Wissenschaftler*innen, politischen Akteuren und interessierten Menschen aller Generationen eine komplizierte Weltlage besser zu verstehen und Lösungsmöglichkeiten zu finden. PRIF-Kolleg*innen haben erneut in einer Vielzahl von Interviews gegenwärtige Konflikte und Krisen kommentiert, auf großen und kleinen Podien diskutiert und in ihren Publikationen vertiefend analysiert. Der vorliegende Jahresbericht fasst all dies zusammen und gibt, so hoffen wir, einen guten Überblick über diese vielfältigen Aktivitäten. Hervorheben möchten wir an dieser Stelle nur unseren Podcast PRIF Talk, der im vergangenen Jahr mit einem neuen Konzept einen erfolgreichen Re-Start hingelegt hat.
Nach über zwei Jahren intensiver Kriegs- und Krisenkommunikation war es uns wichtig, die Grundlagenforschung wieder stärker in den Blick zu nehmen. Im Herbst des Jahres stimmte der Stiftungsrat einem neuen Forschungsprogramm zu, an dem in einem inklusiven Prozess Kolleg*innen aus allen Bereichen des Instituts über Monate intensiv gearbeitet haben. Das neue Forschungsprogramm beschreibt nun nicht mehr nur einen Forschungsschwerpunkt für einen bestimmten Zeitraum. Es zeigt vielmehr die verschiedenen Forschungsschwerpunkte und strategischen Ziele des Instituts auf und wird in einem fortlaufenden Prozess überprüft und erneuert. Schauen Sie gerne auf unserer Webseite vorbei, dort ist das Programm leicht zu finden.
Die durch den russischen Angriff auf die Ukraine aufgeworfenen Fragen der europäischen Sicherheits- und Friedenspolitik werden in zwei neuen Projekten aufgegriffen, die zum Jahreswechsel ihre Arbeit aufnahmen. Das ist zum einen eine durch das Land Hessen geförderte LOEWE-Forschungsgruppe, die am PRIF und der Goethe Universität angesiedelt ist und die sich mit der Gestaltung zukünftiger Friedensordnungen befasst. Zum anderen ist dies ein durch die Leibniz-Gemeinschaft gefördertes Kooperationsprojekt mit dem Institut für Zeitgeschichte zu möglichen Lehren aus der Vergangenheit des Kalten Kriegs.
Ein weiteres Thema, das uns nicht erst seit dem Beginn des Kriegs 2022 beschäftigt, ist der Umgang mit Autokratien in einer Welt, in der die Anzahl der Demokratien sinkt. Über die Grenzen der Programmbereiche hinweg haben wir eine Forschungsgruppe gegründet, die sich mit der Frage des Regimewettbewerbs befasst. Unsere Jahreskonferenz 2023 zum Thema „Dealing with Autocracies in a Fragmented World“ bot nicht nur die Möglichkeit, sich mit internationalen Kolleg*innen zu diesem Thema auszutauschen. Sie war auch wieder sehr viel besser besucht als wir es aus den Jahren direkt nach der Pandemie gewohnt waren. Im Rahmen der Jahreskonferenz wurde darüber hinaus der Ernst-Otto-Czempiel-Preis verliehen. Gewürdigt wurde Roger Mac Ginty für sein Buch „Everyday Peace: How So-Called Ordinary People Can Disrupt Violent Conflict“.
Der Zustand der Demokratie interessiert uns, Sie wissen es, nicht nur in der internationalen Perspektive. Im Rahmen des Jubiläums der Frankfurter Paulskirche und der hiesigen Tage der Demokratie haben wir uns auch hier vor Ort in Frankfurt mit Transferprojekten engagiert und Ideen zur Erneuerung demokratischen Lebens und Erlebens eingebracht. Ein Projekt zum Austausch von Jugendlichen der siebzehn Frankfurter Partnerstädte, das 2024 in der Paulskirche mit einem Gipfel seinen Höhepunkt erleben sollte, warf darüber hinaus seine Schatten voraus.
Das Jahr 2023 war auch eines der strategischen Erweiterung. Mit dem durch das Auswärtige Amt geförderten „Cluster Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung“ ergänzten wir unsere disziplinären Perspektiven um naturwissenschaftliche Expertisen. In drei neuen Forschungsgruppen sind wir nun sehr viel besser dazu in der Lage, neue Rüstungstechnologien sowie die Kontrolle von Chemie-, Bio- und Nuklearwaffen zu erforschen.
Schließlich war das vergangene Jahr wieder eines der persönlichen Erfolge der PRIF-Mitarbeiter*innen. Julian Junk wurde auf eine Professur an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit berufen. Mit Anton Peez, Hande Abay Gaspar, Clara-Auguste Süß und Ben Christian schlossen gleich vier unserer Doktorand*innen erfolgreich ihre Promotion ab – und alle fanden attraktive Anschlussstellen in der Forschung in und außerhalb des Instituts. Darauf sind wir ganz besonders stolz.
Wäre nicht so viel los gewesen, hätten wir hier noch etwas zur Namensänderung und zu unserem neuen Logo geschrieben. Das heben wir uns auf für friedlichere Zeiten. Aber sehen Sie auf den folgenden Seiten selbst.
Nicole Deitelhoff und Christopher Daase
Inhalt
Zahlen und Fakten
- Forschung zu Arktis und Antarktis
Die Polarregionen im Mittelpunkt
Welche Relevanz haben Arktis und Antarktis für die Friedens- und Konfliktforschung? Patrick Flamm und Olena Podvorna arbeiten zu diesen Regionen.
- Radikalisierungsforschung am PRIF
Radikalisierung im Online-Bereich
Radikalisierung und sozialer Zusammenhalt ist einer der Querschnittsbereiche der Forschung am PRIF. Welche Rolle dabei virtuelle Welten einnehmen, wird in einem neuen Forschungsverbund untersucht.
- Forschungsverbund CNTR startet
Was bedeutet künstliche Intelligenz für die Rüstungskontrolle?
Im CNTR-Verbund forscht ein interdisziplinäres Team zu Chancen und Risiken neuer Technologien für die Rüstungskontrolle. Ein zentrales Thema: Künstliche Intelligenz.
- Postkoloniale Erinnerungspolitik und Erinnerungskultur
Aufarbeiten – nicht abarbeiten
Wie lässt sich die koloniale Vergangenheit erinnerungskulturell aufarbeiten? Sabine Mannitz berichtet aus dem Forschungsprojekt „Evils of a Global Past“.
- Neue LOEWE-Forschungsgruppe
Weltordnungen im Konflikt
Nicole Deitelhoff leitet im Rahmen ihrer LOEWE-Spitzenprofessur eine neue Forschungsgruppe zu Weltordnungskonflikten. Im Interview erzählt sie, was diese Konflikte ausmacht und ab wann sie zum Problem werden.
- Neue Forschungsgruppe organisiert PRIF-Jahreskonferenz
Regimewettbewerb wie im Kalten Krieg?
Was ist dran an der viel beschworenen Systemkonkurrenz zwischen Demokratien und Autokratien? Die neue Forschungsgruppe „Regimewettbewerb“ befasst sich mit den neuen Rivalitäten.
- Friedensgutachten
Friedensgutachten 2023 in Zahlen
Wie häufig war das Friedensgutachten 2023 in den Medien? Wie viele Institute sind beteiligt? Spannende Zahlen und Fakten rund um das Friedensgutachten 2023 „Noch lange kein Frieden“.
- Frankfurter Ideen für den Frieden
Wie sprechen wir über diesen Krieg?
In der öffentlichen Debatte um Israel und Gaza scheinen die Fronten mehr denn je verhärtet. Vor welche Herausforderungen stellt das die politische Bildung und wie können Gespräche dennoch gelingen? PRIF-Mitarbeiter*innen berichten über das Dialogformat „Frankfurter Ideen für den Frieden“.
- Matthias Dembiniski verabschiedet sich in den Ruhestand
Der Skeptiker, oder: Scheiden tut schon ein bisschen weh
Im Profil: Matthias Dembinski verabschiedet sich nach rund dreißig Jahren am Institut in den Ruhestand. Wir blicken mit ihm gemeinsam zurück auf seine Karriere und wagen einen vorsichtigen Blick in die Zukunft.