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Neue LOEWE-Forschungsgruppe

Weltordnungen im Konflikt

Blick auf einen Globus unter roten Holzbalken
Foto: Rupert Ganzer via flickr (bearbeitet)

Russlands Krieg in der Ukraine hat die europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur in Trümmer gelegt. Internationale Institutionen und Normen haben an Bindungskraft verloren. Gleichzeitig beobachten wir globale Machtverschiebungen und neue Konfliktlinien. Die Weltordnung der letzten Jahrzehnte scheint überholt zu sein, die Spielregeln des globalen Regierens werden neu ausgefochten. Die im Rahmen einer LOEWE-Spitzen-Professur für Nicole Deitelhoff gegründete Forschungsgruppe „Weltordnungen im Konflikt“ wird sich mit diesen und weiteren Fragen in den nächsten Jahren beschäftigen.

Im Gespräch mit Nicole Deitelhoff

Zuallererst eine ganz grundlegende Frage: Was ist eigentlich eine Weltordnung? Wie stabil sind solche Ordnungen und wer stellt sie her?

Wenn wir von einer Weltordnung sprechen, dann meinen wir damit die Regeln, Normen und Organisationen, die kollektive Güter wie Frieden, Wohlstand und Sicherheit bereitstellen oder Staaten in deren Bereitstellung unterstützen. Weltordnung deshalb, weil sie das mit einem globalen Anspruch tun.

Weltordnungen werden zumeist durch große Krisen, oftmals Weltkriege geboren, wenn sich eine Gruppe von handlungskompetenten Akteuren, oftmals Staaten, zusammentun und Regeln, Normen und Organisationen beschließen, um zukünftige Krisen zu verhindern. Solche Ordnungen können sehr stabil sein, solange zentrale Akteure sie unterstützen. Bricht die Unterstützung weg, geraten Ordnungen in Turbulenzen.

Was macht die gegenwärtige Krise der Weltordnung denn zu einer Krise? Gibt es nicht viele der Tendenzen schon lange? Gehört Konflikt zur Ordnung immer dazu und ab wann wird Konflikt um die Ordnung problematisch?

Jede Ordnung kennt Konflikte. In gewisser Weise sind alle politischen Ordnungen sogar Konfliktordnungen. Sie haben die Aufgabe, Konflikte um knappe Güter und um Anerkennung so zu bearbeiten, dass Gewalt nicht zur Anwendung kommt und Anpassungsnotwendigkeiten erkannt und möglich werden.

Problematisch wird es, wenn das nicht mehr gelingt, weil Normen und Regeln missachtet werden und ihre Verletzung nicht mal mehr als solche betrachtet wird. Das erleben wir gegenwärtig in Ansätzen. Deutlich wird das bei Russland, das seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht mal mehr versuchsweise im Völkerrecht rechtfertigt, wie auch bei seinen Verbündeten, die den eklatanten Bruch des Gewaltverbots gar nicht als solchen kritisieren, sondern von den legitimen Sicherheitsinteressen Russlands sprechen.

Aber auch in vielen anderen Bereichen erleben wir problematische Entwicklungen: Die Einhaltung von Regeln, die Kooperation mit internationalen Organisationen geht runter und die Kritik daran wird immer leiser oder orientiert sich an politischen Allianzen. Die gegenwärtige Weltordnung ist unter Druck.

Der UN-Sicherheitsrat steht schon lange in der Kritik. Nun hat mit Russland eines der ständigen Mitglieder einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gestartet. Ist der UN-Sicherheitsrat überhaupt noch relevant oder ist die Idee dahinter gescheitert?

Der UN-Sicherheitsrat ist das höchste UN-Gremium mit der ihm zustehenden Aufgabe, Gefährdungen des internationalen Friedens und der Sicherheit abzuwenden. Durch die eigentümliche Konstruktion mit fünf ständigen Sicherheitsratsmitgliedern, die über ein Vetorecht verfügen, kann er seine Aufgabe immer dann schlecht wahrnehmen, wenn Konflikte zwischen diesen ständigen Mitgliedern herrschen. Das war faktisch seit Gründung der UN bis Ende des Kalten Krieges und wieder seit den 2000er Jahren der Fall. Der Sicherheitsrat ist in den zentralen Krisen faktisch blockiert. Ohne grundlegende Reform der Abstimmungsregeln bzw. -rechte kann er seine Aufgabe nicht wahrnehmen. Allerdings hat die UN alternative Mechanismen entwickelt, wie die „Uniting for Peace“-Agenda der UN-Generalversammlung, die zwar keine bindenden Resolutionen erlassen, aber Handlungsmacht erzeugen kann. In solche alternativen Mechanismen muss zukünftig mehr investiert werden.

Welche Rolle spielen wirtschaftliche Abhängigkeiten in der gegenwärtigen Krise? Hat man sich mit den tiefen Handelsbeziehungen z. B. mit Russland verkalkuliert?

Die Tiefe der Verflechtung mit Russland war nicht das Problem, sondern die extreme Asymmetrie. Europa hatte sich in starke Abhängigkeit mit Blick auf seine Energieversorgung begeben, ohne für Probleme vorzubauen. Das hat sich gerächt, aber zugleich wurde in der erzwungenen, sehr kurzfristigen Abkopplung von russischer Energie auch deutlich, dass es machbar ist, und erkannt, dass man auch gegenüber anderen Akteuren mehr Flexibilität benötigt und mehr Kontrolle.

Aber all das hilft nicht gegen revisionistische Akteure, weil sie ihre politisch-ideologischen Ziele so hoch einschätzen, dass ihnen die ökonomischen Kosten egal sind. Deshalb geht es nicht darum, Verflechtung generell abzubauen, sondern spezifische Probleme von zu großer Abhängigkeit zu vermeiden. Verflechtung an sich bleibt vorteilhaft, weil sie die Kosten für Waffengänge erhöht und diese damit erschwert.

Wie wird sich die neue LOEWE-Gruppe mit diesen Themen beschäftigen?

Die LOEWE-Gruppe untersucht die Dialektik zwischen Konflikt und Ordnung, um ein besseres Bild darüber zu erlangen, wie Ordnungen versuchen, Konflikte produktiv zu halten, und unter welchen Bedingungen dies nicht mehr gelingt. Wir vergleichen die heutige Weltordnung mit früheren, aber wir schauen auch auf Konflikte in Teilordnungen wie der Sicherheitsordnung, der Weltwirtschaftsordnung oder der Menschenrechtsordnung, um diese Fragen zu beantworten. (ewa)

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