
PRIF Jahresbericht2024
Editorial
Gut, dass wir im vergangenen Jahr noch nicht umgezogen sind, wir hätten dafür gar keine Zeit gehabt. Eigentlich war für den Sommer 2024 der Umzug des Instituts aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel in das südlich gelegenere Sachsenhausen geplant. Der Umzug verzögerte sich allerdings und wird nun 2025 sicher – ja, ganz sicher – stattfinden.
Die Verzögerung hatte aber auch ihr Gutes, so blieb mehr Zeit für unsere eigentliche Aufgabe: in nach wie vor sehr schwierigen Zeiten Wege hin zu einem nachhaltigen Frieden zu finden. Medial waren vor allem der russische Krieg in der Ukraine und der Krieg in Israel und Gaza weiter prägend. Das spiegelte sich auch in unserer Arbeit – obwohl es uns ein wichtiges Anliegen ist, auch auf die zahlreichen weiteren Konflikte hinzuweisen, die vergessen zu werden drohen.
Der Krieg in Gaza und Israel war zunehmend mit einer polarisierten Debatte hier in Deutschland verbunden – ein Thema, das wir im Rahmen unserer Jahreskonferenz aufgriffen und diskutierten und das uns weiterhin beschäftigt. Ein weiterer Anlass zum kritischen Nachdenken über diesen Konflikt war die posthume Verleihung des Hessischen Friedenspreises 2023 an die kanadisch-israelische Friedensaktivistin Vivian Silver, die im Rahmen eines Festaktes im Juli 2024 stattfand. Silvers Sohn, Yonatan Zeigen, nahm mit einer bewegenden Rede an der Feier teil.
Die sich im Herbst des Jahres anbahnende Bundestagswahl nahmen wir zum Anlass, den Friedensbegriff, der im Zuge der politischen Debatte über das Ende des Ukrainekriegs in Verruf zu geraten schien, in das Zentrum einer eigenen Reihe auf dem PRIF-Blog und in verschiedenen Medienbeiträgen zu stellen. Dass dies weder eine rein akademische noch deutsche Debatte ist, zeigte sich in der Folge in den Friedensbemühungen des wiedergewählten US-Präsidenten Trump.
Auch wenn die Wiederwahl Trumps am Ende nicht mehr überraschend kam, so verblüfft aktuell doch die Geschwindigkeit, mit der er in seiner zweiten Präsidentschaft grundlegende Prinzipien der internationalen Ordnung einreißt. Dies ist ein Bereich, für den wir mit unserer gemeinsam mit der der Goethe-Universität eingerichteten LOEWE-Forschungsgruppe Weltordnungen im Konflikt die Grundlagenforschung gestärkt und ausgebaut haben. Die Gruppe untersucht, wie eine tragfähige Sicherheits- und Friedensordnung auf europäischer und globaler Ebene aussehen kann, die Spannungen und Krisen produktiv bearbeitet.
Eine weitere neue Forschungsgruppe bearbeitet ein nicht weniger drängendes Thema. Im Rahmen unseres Clusters Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) richteten wir gemeinsam mit der TU Darmstadt die Forschungsgruppe Science for Nuclear Diplomacy ein. Die Gruppe entwickelt neuartige Techniken, um die Einhaltung von Abkommen zur nuklearen Rüstungskontrolle mit Hilfe von experimenteller Physik und der computergestützten Reaktortechnik zu verifizieren.
Das vergangene Jahr war erneut eines der intensiven Vernetzung. Gemeinsam mit 16 weiteren Forschungseinrichtungen sind wir Gründungsmitglied der Frankfurt Alliance, die im September des Jahres erstmals ein großes Science Festival im Herzen der Stadt veranstaltete. In der Leibniz-Gemeinschaft startete mit den Leibniz Labs ein neues Synthese- und Transferformat mit nationaler Sichtbarkeit. Das PRIF ist in drei der Labs mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten vertreten.
Erneut freuen wir uns in diesem Jahresbericht über eine Reihe persönlicher Erfolge. Die Liste der Doktorand*innen, die erfolgreich ihre Promotion abschlossen, wäre an dieser Stelle zu lang. Sie finden eine Übersicht beim Durchblättern durch dieses Heft. Preise für ihre Forschungsarbeiten erhielten Thomas Reinhold und Hendrik Simon. Auch hierzu finden Sie im Folgenden mehr. Daniel Mullis schaffte es mit seinem Buch „Der Aufstieg der Rechten in Krisenzeiten“ in die Sachbuch-Bestenliste von Zeit Online. Thorsten Gromes schloss erfolgreich sein Habilitationsverfahren ab. Malte Göttsche wurde auf eine Professur an der TU Darmstadt berufen und Sarah Brockmeier-Large übernahm die Leitung unseres Berliner Büros.
Aber kommen wir zurück zum Thema Umziehen. Zwar steht der physische Umzug noch aus, aber uns ist bereits der digitale Umzug in eine neue Webseite gelungen. Nach dem Rebranding-Prozess mit neuem Namen und Logo im Vorjahr, schlossen wir damit 2024 ein weiteres Großprojekt unserer Kommunikation planmäßig ab.
Wir haben uns aber nicht nur äußerlich verändert, sondern auch neue Transferformate entwickelt. Die Monitore und Fact Sheets aus den Projekten CNTR und PrEval erweitern unsere Angebote der gezielten Beratung von Politik und Fachpraxis. Es handelt sich um Publikationsformate, denen ein in die Projekte eingebetteter Wissenschafts-Praxis-Dialog vorausging.
Dialog ist auch das Stichwort für unsere Arbeit im Bereich der politischen Bildung. Ein Highlight des vergangenen Jahres war das Projekt „Global House of Young Voices“, ein politischer Summit von Jugendlichen aus Frankfurter Partnerstädten zum Anlass des Jubiläums der Paulskirche. Die Themen dieses internationalen Austauschs: Freiheit, Recht und Demokratie.
Damit wären die Themen gesetzt, die uns auch 2025 beschäftigen, vor allem aber auch motivieren werden. Gerade in Zeiten wie diesen ist es unser Anliegen, unsere Forschungen in einen engagierten Dialog mit ganz unterschiedlichen Akteuren zu bringen, Konflikte produktiv zu führen und Ideen für den Frieden zu entwickeln.
Wir möchten an dieser Stelle allen im PRIF danken, die daran mitwirken. Wir laden Sie ganz herzlich ein, mit diesem Jahresbericht mit uns einen Blick zurück auf ein weiteres intensives Jahr der Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt zu werfen.
Inhalt
Zahlen und Fakten
- Viel beachtete Buchveröffentlichung
Das Erstarken der extremen Rechten in Deutschland
Rechte Narrative und reaktionäre Haltungen in der Mitte der Gesellschaft? Das Buch von Daniel Mullis untersucht den „Aufstieg der Rechten in Krisenzeiten“.
- „Kriege gegen Drogen“ in Brasilien und den Philippinen
Wie Kontrollinstitutionen scheitern
Im Namen des „Kriegs gegen Drogen“ stieg die tödliche Polizeigewalt in Brasilien und in den Philippinen dramatisch an. Ein DFG-gefördertes Forschungsprojekt untersuchte die Rolle politischer Eliten hierbei.
- Forschungsprojekt abgeschlossen
Wie bewerten Menschen vor Ort Interventionen?
Antonia Witt und Sophia Birchinger haben erforscht, wie Interventionen afrikanischer Regionalorganisationen von der lokalen Bevölkerung erlebt werden, und sprechen mit uns über ihre Ergebnisse.
- Friedensgutachten 2024
Gewalt beenden und Frieden sichern
Das globale Konfliktgeschehen hat sich 2024 verschärft. Das Friedensgutachten nimmt Stellung und zeigt Lösungsansätze auf.
- Global House of Young Voices
Junge Weltbürger*innen mit Ideen im Gepäck
Wie gelingt internationaler Austausch? Das Global House of Young Voices brachte junge Menschen aus Frankfurts Partnerstädten zu einem einwöchigen Summit zusammen.
- Naturwissenschaftliche Friedensforschung
Heute forschen für die Rüstungskontrolle der Zukunft
Wie kann Physik zur Überwindung nuklearer Bedrohungen beitragen? Die neue Forschungsgruppe Science for Nuclear Diplomacy erforscht technische Grundlagen nuklearer Rüstungskontrolle.
- Ausgezeichnete Buchveröffentlichung
Ein „freies Recht zum Krieg“ – das es so nie gab
Die moderne völkerrechtliche Ordnung mit Gewaltverbot wurde im 20. Jahrhundert geboren? Mit diesem lang etablierten Mythos räumt Hendrik Simon in seinem Buch „A Century of Anarchy” auf.
- Neue Leitung im Berliner PRIF-Büro
Wissenstransfer und Dialogformate
Im Profil: Sarah Brockmeier-Large leitet seit 2024 das Berliner Büro vom PRIF. Im Interview berichtet sie über die Dépendance im politischen Berlin.
- Bilanz der ersten Projektphase
Ins Gespräch kommen – im Gespräch bleiben – Perspektiven entwickeln
Der kriselnden Rüstungskontrolle in Forschung und Praxis begegnen – das steht im Kern des Doktorand*innenprojekts von PRIF und dem Auswärtigen Amt. Die erste Kohorte hat das Programm 2024 abgeschlossen.
- WorkNew@Leibniz
Neues Arbeiten in der Wissenschaft
Wie gelingen neue Arbeitsmodelle in der Wissenschaft? Das kollaborative Projekt „WorkNew@Leibniz“ hat hierzu Ideen entwickelt.